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Delorette: Familienräte haben Potential

arlt.dialog #8. Michael Delorette im Gespräch

Seit Juli 2019 leitet Michael Delorette den Zertifikatslehrgang Familienrat. arlt.dialog sprach mit ihm über den neu konzipierten Weiterbildungslehrgang.

Was machen Familienräte?

Der Familienrat ist einerseits ein Verfahren, in dem Betroffene mit Hilfe eines UnterstützerInnenkreises, den sie selber ausgewählt haben, schwerwiegende Probleme diskutieren und einen Plan erstellen, wie das Problem gelöst werden kann.

Andererseits wird diese Gruppe von Betroffenen und ihren UnterstützerInnen als Familienrat bezeichnet, der in der "Family-Only-Phase" ganz ohne ExpertInnen tagt. Dieser Familienrat trifft sich zu einer ganz bestimmten Fragestellung (z. B. was muss geschehen, damit David gewaltfrei leben kann und wer kann dafür etwas tun?) und macht einen Plan, der für die betreffende Person sicher ist und der den Gesetzen entspricht, sprich legal ist. Der Familienrat tagt in der Regel so lange, bis eine einvernehmliche Lösung gefunden ist, die alle gut finden und unterschreiben können. Man könnte dies auch als "passgenaue Hilfe" bezeichnen.

Die von Ihnen genannte "Family-Only-Phase" ist ein Teil der Methode Familienrat. Was ist das Besondere daran?

Entscheidend ist, dass kein Experte und keine Expertin, keine Fachkraft in der "Family-Only-Phase" teilnimmt. Das ist einzig der Tatsache geschuldet, dass sich in einem Kreis von Vertrauten, internes Wissen viel eher entfalten kann und damit auch Lösungen zustande kommen, die sonst nicht möglich gewesen wären.

In welchen Bereichen der Sozialen Arbeit kommen Familienräte zur Anwendung?

Bisher findet der Familienrat vorwiegend in der Kinder- und Jugendhilfe Anwendung. Seit einigen Jahren besteht für die Kinder- und Jugendhilfe in NÖ die Möglichkeit, den BürgerInnen einen Familienrat anzubieten. Dies kann den Kinderschutz betreffen oder andere schwerwiegende Probleme innerhalb von Familien. Es hat sich aber gezeigt, dass der Familienrat auch in anderen Kontexten sinnvoll sein kann, wenn es um den Schutz oder die Unterstützung von Erwachsenen geht. Hier gibt es insbesondere im Erwachsenenschutz noch viel Potenzial, BürgerInnen dahingehend zu unterstützen, ihr Leben weitestgehend autonom und selbstbestimmt zu leben. Im Bereich der pflegenden Angehörigen haben wir an der FH St. Pölten schon seit einigen Jahren geforscht und festgestellt, dass auch dort der Familienrat ein sinnvoller Ansatz ist, um BürgerInnen zu unterstützen.

Der Zertifikatslehrgang Familienrat wurde neu konzipiert. Was sind die Besonderheiten des neuen Curriculums?

Wir haben den Zertifikatslehrgang an der FH St. Pölten neu auf die Kinder- und Jugendhilfe, den Erwachsenenschutz und auf die Unterstützung pflegender Angehöriger ausgerichtet. Wir erhoffen uns davon, dass der Familienrat dadurch weiterverbreitet wird und in neuen Arbeitsfeldern Anwendung findet.

Außerdem bieten wir die Ausbildung in zwei aufeinander aufbauenden Modulen an. Das erste Modul hat dabei den Schwerpunkt auf die Beauftragung eines Familienrates und ist zum Beispiel auf die Bedürfnisse der SozialarbeiterInnen der Kinder- und Jugendhilfe oder auf andere, einen Familienrat beauftragende Institutionen zugeschnitten. Im zweiten Modul geht es um die Koordination eines Familienrates in den unterschiedlichen Arbeitsgebieten. Um dieses Modul belegen zu können ist der erfolgreiche Abschluss des ersten Moduls notwendig, damit die AbsolventInnen unseres Lehrgangs das gesamte Verfahren beherrschen und sich hinreichend mit der Materie beschäftigt haben, um dieses Verfahren professionell anzuwenden.

Sie sind sowohl in der Lehre als auch in der Praxis der Sozialen Arbeit aktiv. Wie beurteilen Sie die Zukunft der Familienräte in der sozialarbeiterischen Praxis?

Ich beschäftige mich seit über zehn Jahren mit dem Familienrat und merke immer wieder, wie BürgerInnen mit ihren UnterstützerInnenkreisen Lösungen entwickeln, auf die wir ProfessionistInnen nie gekommen wären, weil uns häufig der Einblick in Familien- und Freundessysteme versperrt ist. So können Hilfen und Unterstützungsprozesse in Gang kommen, die von den betroffenen Personen erwünscht sind. Zusätzlich kommt es viel weniger zu Widerstandsszenarien, mit denen wir in der Sozialen Arbeit sehr häufig zu tun haben und die Hilfeprozesse manchmal so ins Stocken geraten lassen.

Familienräte sind ein wichtiger Mosaikstein im Gefüge der Hilfen, die BürgerInnen einladen, selber Lösungen zu finden und somit Verantwortung zu übernehmen und mit Institutionen der Sozialen Arbeit zu kooperieren. Dass dies auch einen positiven Effekt auf SozialarbeiterInnen hat, soll nicht unerwähnt bleiben. Es kann die Arbeit bereichern und auch leichter machen, weil die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt wird.

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