Künstliche Intelligenz im Filmarchiv
Animationen im Gebrauchsfilm von 1945 bis 1989: Projekt der FH St. Pölten und der Universität Tübingen entwickelt moderne Methoden der Filmanalyse
Das Forschungsprojekt „AniVision“ der Fachhochschule St. Pölten und der Universität Tübingen untersucht Animation in Gebrauchsfilmen aus Österreich, Ost- und Westdeutschland zwischen 1945 und 1989. Die Analyse der Filme erfolgt unter Zuhilfenahme automatisierter Methoden der Computer Vision und des maschinellen Lernens.
„Motiviert durch das Interesse, der filmischen Form der Animation mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, betrachten wir im Projekt einen Bereich der Stilgeschichte der Animation, der bislang wenig Beachtung erfahren hat“, sagt Projektleiterin Franziska Bruckner, Leiterin der Forschungsgruppe Media Creation am Institut für Creative\Media/Technologies der FH St. Pölten.
Neues Augenmerk auf Gebrauchsfilme
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Animation konzentrierte sich bislang vor allem auf erzählerische Filme und Serien, experimentelle Filme, visuelle Effekte und animierte Dokumentationen.
„In unserem Projekt verlassen wir diese gut erforschten Pfade und legen das Augenmerk auf sogenannte Gebrauchsfilme. Dabei handelt es sich um Filme zu Sachthemen, also mit nicht-fiktionalen Inhalten, die üblicherweise eine kurze Nutzungsdauer haben und für spezifische Zwecke produziert wurden“, erklärt Erwin Feyersinger, Co-Direktor des Research Center for Animation and Emerging Media am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen.
Das sind unter anderem Lehrfilme, Aufklärungsfilme, Werbefilme und Wochenschauen. Animationen dienen in diesen Filmen beispielsweise dazu, beworbene Produkte besser im Gedächtnis zu verankern, Prozesse im Inneren des Körpers anschaulich darzustellen oder eine emotionale Verbindung zum Publikum aufzubauen.
Gebrauchsfilme werden in Kinos, im Fernsehen, aber auch bei nicht-öffentlichen Vorführungen gezeigt und verschwinden oft in den Filmarchiven, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. Im internationalen Projekt AniVision heben die Forscher*innen der FH St. Pölten und der Universität Tübingen dieses wenig untersuchte Material aus den Archiven und machen es systematisch durchsuchbar und analysierbar.
Datengetriebene Analyse
Die Forscher*innen führen im Projekt eine systematische und datengetriebene Analyse von Animationsstilen in Gebrauchsfilmen durch. Das Projekt setzt auf die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Informatiker*innen, die automatisierte Methoden für die Analyse der Filme entwickeln, und Expert*innen im Bereich Animationsforschung, die mithilfe dieser Methoden quantitative und qualitative Erkenntnisse über das untersuchte Filmmaterial gewinnen.
Für diese Untersuchungen verwenden die Animationsforscher*innen Werkzeuge der neoformalistischen Filmanalyse mit einer Schwerpunktsetzung auf filmische Stilmittel, die sie mit Ansätzen der quantitativen Filmanalyse, der Animation Studies und der Kunstgeschichte verbinden.
Die Expert*innen aus der Informatik entwickeln Methoden des Bildverstehens, der inhaltsbasierten Video- und Bildanalyse sowie des maschinellen Lernens, um Charakteristika des animierten Filmmaterials quantitativ messbar zu machen. Darüber hinaus werden intelligente interaktive Benutzer*innenschnittstellen für die Analyse großer Videokorpora entwickelt, die es den Expert*innen aus der Animationsforschung ermöglichen sollen, große Mengen an Material zu analysieren.
„Die große Menge des zu analysierenden Filmmaterials macht eine ganzheitliche manuelle Analyse unmöglich. Durch automatisierte Inhaltsanalyse können wir erstmals eine systematische Analyse von Animationsstilen über Ort und Zeit hinweg ermöglichen und intelligente Such- und Vergleichswerkzeuge für die Animationsforscher*innen realisieren“, sagt Matthias Zeppelzauer von der FH St. Pölten, im Projekt für die Forschung im Bereich der Informatik verantwortlich.
Neue Methoden für die Filmforschung und offener Datensatz
Im Projekt sollen so neue Methoden für die Filmforschung entstehen, die es ermöglichen, eine umfangreiche Sammlung von Filmen automatisiert aufzubereiten, präzise zu segmentieren, animierte Sequenzen zu finden und diese Sequenzen nach stilistischen Kriterien zu klassifizieren und zu vergleichen.
Das Projekt untersucht, wo, wie oft und in welchen Kontexten bestimmte Animationsstile vorkommen und worin sich die Animationen aus Österreich, Ost- und Westdeutschland unterscheiden, wo es Übereinstimmungen gibt und ob es wechselseitige Einflüsse gab. So sollen historische Trends bei den Animationsstilen nachgezeichnet werden. Zudem soll ein öffentlich zugänglicher Datensatz mit Begleitmaterialen und Erklärungen entstehen.
Projekt AniVision
Das Projekt wird gemeinsam mit dem Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen durchgeführt und vom Wissenschaftsfonds FWF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG im Rahmen des Weave-Lead-Agency-Verfahrens finanziert. Partner*innen sind: ASIFA Austria, Deutsches Institut für Animationsfilm, Deutsches Rundfunkarchiv, Österreichisches Filmmuseum, ORF-Archiv und Progress Film GmbH.
FH-Prof. Mag. Mag. Dr. Franziska Bruckner
Senior ResearcherForschungsgruppe Media Creation
Institut für Creative\Media/Technologies Department Medien und Digitale Technologien