„Mit KI sucht der Anwalt nur halb so lange“
Interview zu Legal Technology
Tassilo Pellegrini und Christian Dirschl von Wolters Kluwer sprechen mit Jakob Leissing über Roboter Anwälte und den Nutzen künstlicher Intelligenz im Rechtswesen. Ein Ausschnitt aus dem Interview:
Digitalisierung im Rechtswesen
Leissing: Bei Digitalisierung und Big Data denkt man nicht als erstes an das Rechtswesen. Was tut sich hinsichtlich Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsprozessen in der Branche?
Dirschl: Der Rechtsmarkt ist definitiv nicht der Vorreiter in der Digitalisierung. Anwälte und Rechtsprofis leben davon, ihre Expertise und den Aufwand für eine Tätigkeit zu verrechnen. Je erfahrener die Person, desto besser der Stundensatz.
Daran hat sich zwar nichts geändert, allerdings entsteht Druck von zwei Seiten: Zum einen ist die Masse der Daten in großen Fällen manuell oft nicht mehr bewältigbar. Zum anderen macht auch der Kunde Druck, weil er beim Erstgespräch nicht mehr 500 Euro bezahlen will, ohne eine adäquate Gegenleistung wahrnehmen zu können.
Legal Technology 3.0
Leissing: Legal Technology versucht juristische Arbeitsprozesse zu automatisieren. Was waren die Entwicklungsschritte hin zu Legal Tech 3.0?
Dirschl: Ein Beispiel für Legal Tech 3.0 ist Predictive Analytics. Auf Basis abgeschlossener Prozesse werden Aussagen über zukünftige Gerichtsprozesse gemacht. So kann etwa die Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, mit der ein Richter oder eine Richterin zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten Sache entscheiden wird.
Grenzen der Digitalisierung
Leissing: Was kann die Digitalisierung im Rechtswesen nicht leisten?
Pellegrini: Ich glaube nicht, dass die Technologie den Legal Expert ersetzen wird. Nicht weil die Technologie nicht dasselbe Abstraktionsniveau oder dieselbe analytische Präzision an den Tag legen kann. Es geht zum einen um Vertrauen, zum anderen um gesetzliche Bestimmungen: So vertraue ich bei einer Rechtsberatung tendenziell eher einem menschlichen Experten als einer Maschine.
Juristische Entscheidung nicht von der Maschine
Oftmals gibt es gesetzliche Bestimmungen, die einen menschlichen Experten bei der Abwicklung von Rechtsgeschäften einfordern, wie etwa einen Notar beim Hauskauf. Die juristische Entscheidung darf in diesem Kontext nicht von einer Maschine kommen.
Das Potenzial der Daten
Leissing: Welches Potenzial sehen Sie in der verstärkten Nutzung von Daten im Rechtswesen?
Pellegrini: Ein plakatives Beispiel kann ich aus meinem Forschungsprojekt DALICC (Data Licenses Clearing Center) berichten. Es handelt sich um eine künstliche Intelligenz, die unterschiedlichste Verfahren nutzt, um den schwierigen Prozess der Rechteklärung bei Lizenzen zu vereinfachen.
3 Minuten statt 3 Tage
Angenommen es stellt sich heraus, dass ein Unternehmen in einem Softwareprojekt 30 verschiedene Lizenzen nutzt. Der Arbeitsaufwand für ein Rechtsanwaltsbüro liegt bei 3 Tagen:
- Zusammentragen der Lizenzen
- Analyse der Lizenzen
- Erstellung eines Gutachtens
DALICC erledigt dieselbe Arbeit in 3 Minuten. Anhand dieses Werts sehen wir schon, wie disruptiv der Einsatz eines funktionierenden Systems in diesem Kontext sein kann. Für den Rechtsdienstleister wäre das eine unglaubliche Produktivitätssteigerung. Für den Nachfrager bedeutet es im Idealfall, eine massive Senkung der Kosten durch die Anwendung.
Ausblick
Leissing: Welcher Bereich im Rechtswesen wird am stärksten betroffen sein?
Dirschl: Ich denke auch, dass der Trend von den Massenanwendungen kommen wird. Weil Algorithmen immer präziser werden und auch die Anbieter dazulernen, werden in nächster Zeit immer größere Bereiche des Wissens und der spezifischen Rechtsinformation abgedeckt werden.
Über die Personen
Christian Dirschl ist Chief Content Architect im Innovation & UX Team bei der Wolters Kluwer Deutschland GmbH.
Tassilo Pellegrini ist Dozent am Department Medien und Wirtschaft der FH St. Pölten und leitet u. a. das Forschungsprojekt DALICC.
Interview: Jakob Leissing, FH St. Pölten
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